September
Sowohl „Alles was zählt“ (AWZ) als auch „Unter uns“ (UU) schmücken sich derzeit mit spektakulären Geschichten rund um Homosexualität. Bei AWZ spielt Carlo Degen den schwulen Fußballer Joscha Degen, der seine Umwelt aus Angst glauben lässt, er steht auf Frauen. Bei UU spielt Eric Stehfest den jungen homosexuellen Schüler Yannick, der sich in seinen Mitschüler Ringo verliebt und diesen damit in einen großen emotionalen Konflikt stürzt. |
Wie geht Joscha in der Serie AWZ mit dem Thema Homosexualität um?
Carlo Degen: Auf Joscha lastet ein großer Druck, da er seine Homosexualität unterdrückt. Er hatte eine verdeckte Beziehung mit einem Mann, hat diese jedoch zugunsten seiner Fußballkarriere beendet. Jetzt versucht er, seine Gefühle vollkommen zu verdrängen und vollkommen heterosexuell zu sein. Er hat eine Freundin nach der anderen und gerät von einem Fettnäpfchen ins nächste bei dem Versuch, da irgendwie drum herum zu kommen. Sobald es mit einer Frau ernster wird, schießt er sie ab und geht zur nächsten über. Das Ganze geht irgendwann sogar so weit, dass er eine Scheinehe eingeht. Er tut alles Mögliche, damit es nicht ans Licht kommt.
… und wie ist es für „Yannick“ bei „Unter uns“?
Eric Stehfest: Yannick ist eigentlich ein Lichtpunkt in der Schillerallee. Er versteht sich mit allen super gut, fällt nicht groß auf und macht seine Schule ordentlich. Man merkt, dass er ein junger Mann ist, der zu dem steht, was er ist und macht. Er hat nur ein Problem, und zwar, dass er sich in den falschen Typen verliebt.
Wie ist es für dich als Hetero-Mann, in der Serie die Rolle eines Homosexuellen zu spielen?
Carlo: Es ist eine ganz spezielle Herausforderung. Durch die besondere Thematik meiner Rolle, die mit Fußball und Homosexualität gleichermaßen zu tun hat, habe ich sehr viel zu spielen und das ist super!
Eric: Seit meiner Kindheit habe ich immer sehr gerne verschiedene Rollen gespielt. Ich habe irgendwelche Charaktere angenommen, die mein privates Leben gar nicht beeinflussen und ganz weit weg von meinem eigentlichen „Ich“ sind. Darum wollte ich Schauspieler werden. So spiele ich jetzt die Rolle des Yannick und kann mich da eigentlich ganz gut einfühlen. Ich würde auch gar nicht in den Vordergrund stellen, dass Yannick schwul ist, sondern er ist jemand, der liebt und Gefühle vermittelt.
Wie hast du dich auf diese Rolle bzw. auf die Szenen vorbereitet?
Carlo: Ich habe im Vorfeld viel über die Thematik gelesen und mich mit meinen homosexuellen Bekannten ausgetauscht. Und wir haben einen Coach, der mit uns die Szenen durchgeht und bespricht, wie man am besten da herangeht. Für mich war es zunächst eine große Umstellung … Ein Mann riecht ganz anders als eine Frau und fühlt sich anders an. Da muss man schon über einen bestimmten Punkt gehen und es zulassen, sich fallen lassen.
Eric: Da kann ich gut anknüpfen. Der Unterschied zwischen meiner und Carlos Rolle Joscha ist, dass Joscha im Konflikt zur Homosexualität steht und meine Rolle Yannick sein Coming-Out schon mit 13 Jahren hatte. Deshalb war bei der Vorbereitung die Fallhöhe für mich nicht so hoch wie für ihn. Für mich war klar, dass ich mich einfach verlieben muss. Schwer wurde es erst, als ich mich dem Spielpartner hingegeben und losgelassen habe. Da hat mich dann das Umfeld am meisten gestört: das Team, die vielen Kameras und der Zeitdruck. Beim Theater wird einem da mehr Zeit gelassen, um sich einzufühlen. Am Set einer täglichen Serie ist das natürlich schwierig, da du innerhalb weniger Minuten sofort funktionieren musst. Das war für mich der größte Konflikt.
Wie war das, als du zum ersten Mal einen Mann geküsst hast?
Carlo: Ich war es gewohnt, eine Frau zu küssen. Einen Mann zu küssen, war da etwas ganz Neues und Ungewohntes. Ich hatte jetzt aber schon recht viele solcher Szenen und mit der Zeit bin ich sicherer und routinierter geworden.
Eric: Bei einem Männerkuss geht es sehr viel um Vertrauen. Es ist wie eine Arbeitsvereinbarung zwischen mir und meinem Spielpartner. Wir wissen beide, dass es nur eine Rolle ist und das macht es einfacher. Wenn ich eine Frau küsse, ist das etwas Gewohntes und man braucht dieses gegenseitige Vertrauen nicht so sehr, als wenn man einen Mann küsst.
Wie waren die Reaktionen von deiner Freundin, von Freunden und der Familie auf deine Rolle?
Carlo: Klar kamen da ein paar blöde Kommentare, aber die waren alle nur als Gag gemeint. Im Endeffekt schätzen meine Freunde, was ich mache und haben sehr großen Respekt davor. Meine Freundin freut sich natürlich, dass ich eher einen Mann küssen muss statt einer Frau.
Eric: Für meine Freundin ist einfach wichtig, dass ich gut schauspielere und es realistisch rüberkommt. Ich habe sie auch mal zum Set mitgenommen, damit sie sehen konnte, was wir da machen. Meine Familie ist in erster Linie stolz, aber dadurch, dass sie noch gar nicht viel gesehen haben, weiß ich nicht, wie sie reagieren werden, wenn sie mich dann tatsächlich mit einem Mann im Fernsehen sehen.
Warum ist es für Joscha so schwer, sich zu outen?
Carlo: Die Thematik „Schwule Fußballer“ ist seit einiger Zeit ziemlich aktuell. Ich kenne aber kaum Fußballer, die sich outen. Und falls sie dies tun, wird es ihnen sehr schwer gemacht. Der Fußballsport scheint immer noch auf das Bild der „harten Kerle“ fixiert zu sein, und da passt Homosexualität auf den ersten Blick nicht hinein. Auf meiner Rolle Joscha lastet ein enormer Druck. Sein Ex-Freund hat sich geoutet, es danach sehr schwer gehabt und sich daraufhin umgebracht. Joscha ist die Karriere als Fußballer so wichtig, dass er sein eigentliches „Ich“ total verdrängt und somit quasi in zwei Welten lebt.
Warum ist Homosexualität beim Fußball immer noch so ein Tabu-Thema? Warum ist es so schwer, sich zu outen und welche Folgen kann das haben?
Carlo: Das Schlimmste ist, glaube ich, das Mobbing! Da spielt auch die Psyche eine große Rolle. Wenn du die ganze Zeit gemobbt wirst und auf Unverständnis triffst, spielst du schlecht, fühlst dich unwohl und würdest dich am liebsten in ein Loch vergraben. So gibt es sicher einige schwule Fußballer, die sich deswegen nicht outen. Ich habe auch das Gefühl, dass Managements da viel mitspielen und sogenannte „Schein-Freundinnen“ vermitteln. Aber ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Eric: Jeder kennt die Situation, dass man sich einer Person öffnet, ihr etwas Persönliches anvertraut und das dann ausgenutzt wird, um sich selber in ein anderes Licht zu rücken. Dadurch wird man verletzt. Wenn man sich jetzt vorstellt, dass man sich vor Millionen von Menschen öffnet, ist das Risiko der Verletzung ungleich größer als nur im engen Freundes- oder Familienkreis. Da zählt in erste Linie der Selbstschutz. Ich glaube, das kann echt weit gehen bei so einer Masse.
Carlo: Ich finde interessant, dass es gerade beim Fußball so ein großes Thema ist, denn in der Schauspielerei, in der Politik und vielen anderen Bereichen sind unglaublich viele Leute geoutet.
Sowohl Joscha als auch Yannick haben in der Geschichte eine Alibi-Freundin. Was hälst du davon?
Eric: Ich würde sagen, das ist wieder eine gewisse Vereinbarung … Allerdings finde ich es nicht in Ordnung, wenn man sich eine Freundin sucht, der man die Liebe nur vorspielt, um seine eigene Homosexualität zu verdrängen. Man sucht sich ja für jede Sache Mittel und Zweck, um da rauszukommen. Und so eröffnen sich plötzlich neue Bereiche, wie zum Beispiel diese Vermittlungs-Agenturen.
Carlo: Bei Joscha und seiner zukünftigen Ehefrau handelt es sich um eine reine Absprache. Das ist zwar jedem selbst überlassen, aber ich finde es tragisch und schade. Dadurch muss man so vieles wegstecken und unterdrücken … Man muss sich entscheiden. Entweder für die Karriere oder für das „Ich-Sein“. Es wäre schön, wenn beides zusammen funktionieren würde, aber das ist ja im Moment leider noch nicht so.
Eric: Interessanterweise birgt dieses Thema weltweit immer noch eine große Aggressivität. In über 70 Ländern werden Homosexuelle verfolgt. Dadurch entsteht viel Hass und Leid. Da muss noch mehr getan werden, die Leute müssen noch mehr aufgeklärt werden, dass man wegkommt von der Angst, dass man sich etwas traut. Es kann nicht sein, dass sich die Masse immer wieder gegen Minderheiten stellt.
Was hälst du von den Gesetzen gegen Homosexualität in Russland?
Eric: Was soll man davon schon von halten!? Das ist natürlich das Allerletzte! Ich habe letztens erst wieder eine Pressekonferenz mit Putin gesehen und mir gedacht: Was redet dieser Mensch da!? Ich sehe einen homophoben Menschen mit Angst in den Augen. Er spricht aus Angst und sagt, dass er die Kinder dieses Landes vor der Homosexualität schützen will … vor diesem nicht-familiären Bild. Die eigentlichen Opfer sind dann die Kinder, denen frühzeitig falsche Werte vermittelt werden. Das geht doch nicht!
Wer sind die Opfer der russischen Politik und warum?
Eric: In erster Linie natürlich die Homosexuellen, aber auch die Kinder und Jugendlichen, die von Grund auf nicht das Gefühl von individueller Liebe, sondern von Angst vermittelt bekommen – Angst und Verschlossenheit. Dadurch entsteht ein vollkommen falsches Weltbild.
Carlo: Erziehung spielt da eine ganz große Rolle. Kinder nehmen das ganz schnell auf, wenn sie etwas vorgelebt bekommen und dann ist das, was die Eltern sagen erst mal „richtig“! Deshalb haben wahrscheinlich viele Heranwachsende in Russland zunächst eine Anti- Haltung gegenüber Homosexualität.
Eric: Ich finde es extrem krass, dass gerade Russland jetzt so hervorgehoben wird bezüglich der Homosexualität. Natürlich, weil das Gesetz jetzt erlassen wurde, aber gucken wir uns doch mal andere Länder an. Im Iran und Saudi-Arabien werden homosexuelle Menschen öffentlich hingerichtet – und das schon eine ganze Weile. Dazu hat niemand etwas gesagt! Das wusste keiner! Auf einmal liegt die Aufmerksamkeit bei Russland und das Thema wird präsent. Warum ist das aber nicht schon früher passiert? Wir stehen anscheinend nur auf, wenn vor unseren Augen jemand erschossen wird oder ein Haus einstürzt. Warum können wir nicht handeln, wenn wir aus der Welt etwas mitbekommen?!
Carlo: Man bekommt auch häufig nur das mit, was die Nachrichten und die Presse einem darbieten.
Warum ist es dir wichtig, gegen diese Anti-Haltung gegenüber Homosexuellen ein Zeichen zu setzen?
Eric: Die Liebe und das Bedürfnis nach einem Menschen so kaputtzumachen, ist einfach schrecklich! Das ist doch dann kein richtiges Leben.
Carlo: Kein Mensch verdient es, aufgrund seiner Sexualität oder anderem, wie ein Verbrecher behandelt zu werden. Jeder Mensch sollte respektvoll behandelt werden.
Eric: Es nervt mich, dass gerade durch diese ganze Russland-Geschichte aus einer eigentlich menschlichen Frage eine politische wurde. Es geht gar nicht mehr darum, sich mit der Gesellschaft und den einzelnen Problemen auseinanderzusetzen, sondern darüber steht diese Macht der Putin-Politik. Man versucht gar nicht mehr, etwas zu klären – das ist das Absurde.
Wie willst du für Akzeptanz und Toleranz kämpfen?
Eric: Indem ich Schauspieler bin und das darstelle! Und zwar so authentisch, wie möglich. Ich möchte einfach die Leute erreichen mit dem, was ich tue.
Carlo: Ja, wir können den Leuten zumindest einen kleinen, beispielhaften Ausschnitt zeigen. Ihnen vor Augen führen, wie es manchen Schwulen geht und sie zum Nachdenken anregen.
Eric: Wir wollen auch zeigen, dass man sich nicht in ein sechsköpfiges Monster verwandelt, wenn man einen Mann küsst, sondern, dass das etwas Normales ist. Es gibt ja die absurdesten Gedanken, die sich in den Köpfen der Leute abspielen.
Was ist euer Appell an die Menschen draußen?
Carlo und Eric: Leute, geht raus auf die Straße. Seid laut, macht auf euch aufmerksam und habt keine Angst! Wenn man sich das traut, gibt es nicht mehr viel, was einem noch entgegenstehen könnte. Man sollte nicht so viel Angst haben, sondern einfach „machen“ und dazu stehen!
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